Ansprache zur Vernissage am Freitag 19.07.2024 19:00
Mein Name ist Joerg Staeger. Ich bin einer der drei Betreiber des raumB1.
Heute habe ich die besondere Freude, Ihnen den Künstler Daniel Goehr vorzustellen.
Daniel Goehr ist ein Bildhauer, und arbeitet somit hauptsächlich dreidimensional. Da seine Werkreihen Themen behandeln, die sich ständig ineinander verschränken und aufeinander beziehen, möchte ich seine Arbeit lieber als multidimensional und vielschichtig beschreiben. Es geht um Mythen, Legenden, Abenteuer und Heldenreisen. Jemand fragte mich, ob Daniel ein Mittelalter Fan sei. Diese Frage konnte ich nicht beantworten, aber Sie können ihn das sicher gleich selbst fragen.
Ich weiß jedoch, dass Daniel sich für eine Idee interessiert, die als Monomythos bekannt ist. Dieser Begriff wurde von dem amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell geprägt. Der Monomythos beschreibt nicht nur die Struktur von mythologischen Erzählungen, sondern auch von modernen Geschichten in Literatur und Film. Viele berühmte Werke wie “Star Wars”, “Der Herr der Ringe” und “Harry Potter” folgen dem Muster der Heldenreise. Campbell argumentierte, dass diese universelle Struktur tief in der menschlichen Psyche verwurzelt ist und unsere kollektiven Träume, Ängste und Hoffnungen widerspiegelt.
Daniel greift diese Idee in verschiedenen Aspekten auf. Er zerlegt und rekonstruiert Fragmente, die aus uralten Erzählungen stammen könnten, aber auch aus Computerspielen, oder sind es vielleicht Kulissen aus dem Theater oder Filmen? Goehr`s Praxis ist verwurzelt in der Auseinandersetzung mit der Erinnerung an Oberflächen, Materialien, Formen und Funktionen aus der Zeit des Heranwachsens, der Adoleszenz. In jedem Fall hinterfragen seine Arbeiten das Streben nach übermenschlicher Stärke, materiellem Reichtum, dauerhaftem Glück, individueller Erleuchtung und Allmachtsfantasien.
Besonders bemerkenswert sind die Werkstoffe, die in dieser Ausstellung Verwendung finden. Sie könnten gegensätzlicher nicht sein. Auf der einen Seite arbeitet Goehr mit Hartschaum aus der Bauindustrie. Bei entsprechender Lagerung hält das Material fast eine Ewigkeit. Daniel beschreibt es als das Material des Erdöl-Jahrhunderts. Dem gegenüber steht die Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit von Zucker. Zucker als Material verändert sich im Laufe der Zeit, schmilzt oder zerbricht, was die Vergänglichkeit und den ständigen Wandel betont. Vielleicht ist es so, dass von der Zeit, von der menschlichen Existenz nur Ruinen übrig bleiben, während essentielle Informationen in Erzählungen zeitlos weiterleben können.
Seine neue Serie betitelt Daniel mit „SugarGrail“. Übersetzt bedeutet dies „Zuckergral“. In der Literatur wird der Gral oft als geheimnisvolles, heiliges Gefäß dargestellt, dem übernatürliche Kräfte zugeschrieben werden. Die Kelche von Daniel bestehen komplett aus Zucker, und sollen fragile Symbole für die Suche nach Wissen und Weisheit sein, und daran erinnern, dass Erleuchtung und Erkenntnis oft von zerbrechlicher und vergänglicher Natur sind. Gießformen sind ein zentrales Werkzeug im künstlerischen Prozess, wenn mit Zucker gearbeitet wird. Diese Formen bieten die Möglichkeit, detaillierte und komplexe Strukturen zu erschaffen. Mithilfe selbstgebauter Gießformen schafft Daniel Goehr seine fragilen Objekte und wird während der Ausstellungsdauer vor Ort weiter neue Objekte gießen. Um uns seine neue Serie „SugarGrail“ vorzustellen, hat er den raumB1, wie er es beschreibt, in einen Zufluchtsort für Reisende, Suchende, Abenteurer und Helden verwandelt. Dieser Ort lädt dazu ein, sich zu begegnen, zu reflektieren und sich auszutauschen, bevor jeder wieder seiner ganz persönlichen Heldenreise nachgeht. Treten Sie ein, verweilen Sie, und kosten Sie unbedingt vom Kelch der Erkenntnis.
Joerg Staeger, im Juli 2024